Erschienen im September 2022 im Tagesspiegel.
Was steht ins Haus?
Bei der Vorbegehung zur Abnahme unserer Eigentumswohnung haben wird den Bauträger auf Kratzer in den Fensterscheiben hingewiesen. Bei Abnahme und Schlüsselübergabe waren noch immer einige Scheiben verkratzt, manche Kratzer nur klein, fast unauffällig, andere deutlich erkennbar und genau im Sichtfeld. Uns wurde gesagt, es gäbe eine Richtlinie, nach der Kratzer zu bewerten seien, ein Austausch der jetzt noch verkratzten Scheiben käme jedoch nicht infrage. Wir sind hier unsicher, schließlich sind es neue Fenster, können wir nicht fehlerfreie Scheiben erwarten?
Was steht im Gesetz?
Kratzer in Scheiben sind ein leidiges Thema – für die Erwerber ebenso wie für die Baustelle. Niemand ist schuld – und dennoch sind die Scheiben verkratzt. Häufig geschieht dies bei den Fassaden –Putzarbeiten und den Reinigungsarbeiten kurz vor der Übergabe. Die Fenster werden bereits gleich nach Rohbaufertigstellung eingebaut und sind damit während der gesamten Ausbauzeit dem rauen Baustellenbetrieb ausgesetzt: Etagenzugänge über die Gerüste, Materialtransporte durch die Fenster sowie Schleifstaub beanspruchen die Scheiben, die nicht immer vollständig geschützt sind. Die Glasindustrie hat eine eigene Warenausgangskontrolle, werkseitige Schäden an Scheiben sind selten. Letztlich handelt es sich bei den Kratzern nur um optische Mängel, die eigentliche Funktion des Fensters, eine transparenten Öffnung in der Fassade, ist nicht beeinträchtigt: Schall- und Wärmeschutz werden nicht gemindert. Kratzer in Scheibenmitte sind störender als solche am Rand. Auf dieser Basis hat die Glasindustrie eine Bewertungsrichtlinie erarbeitet und die maximale Kratzergrößen festlegt: „Richtlinie zur Beurteilung der visuellen Qualität von Glas für das Bauwesen“. Diese Richtlinie ist sehr streng, erlaubt z.B. in Scheibenmitte nur Kratzer bis 45 mm Länge. Tatsächlich werden damit nur einzelne Beschädigungen systematisiert, nicht aber bewertet, in wieweit die Gebrauchstauglichkeit des Fensters insgesamt beeinträchtigt ist
Und wie stehen Sie dazu?
Die Kratzer in den Fensterscheiben sind ärgerlich, da offensichtlich vermeidbar – jedenfalls trifft den Erwerber keine Schuld. Kleine Kratzer (Haarkratzer) können oftmals auspoliert werden, es gibt regelrechte „Künstler“ für solche Nacharbeiten. Ist dies nicht möglich, muss der Mangel bewertet werden: „Wie störend ist der Kratzer?“ ist gegen den Aufwand eines Austauschs abzuwägen. Hier kommt für den Bauträger BGB §635 – „Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung“ ins Spiel: er kann es ablehnen, wenn der Aufwand „zu groß“ ist.. Bei übergroßen 3- Scheibenverglasungen muss ein Kran kommen, eine Scheibe für eine Terrassentür kostet einige hundert Euro. Hier wird man heute vernünftig abschätzen, ob eine Minderung vereinbart werden kann, um eine noch funktionierende Scheibe nicht auf den Müll zu werfen.
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