Erschienen im Tagesspiegel im Dezember 2019
Was steht ins Haus?
Zur Abnahme des Gemeinschaftseigentums unserer Wohnanlage hatte ein Sachverständiger die Begehung durchgeführt. Bei den Fassaden gab es zu unserem Erstaunen nur eine Besichtigung von der Straßenebene aus. So konnten wir Details, wie z.B. unsaubere Verarbeitungen oder unterschiedliche Strukturen nicht richtig sehen. Unseren Hinweis, er hätte die Besichtigung vorher vom Gerüst aus vornehmen können, wies er zurück. Wir waren darüber erstaunt, es muss erlaubt sein, sich die Fassade genau anzuschauen, bei den Wänden im Foyer und den Wohnungen geht es doch auch!
Was steht im Gesetz?
An alle Bauteile werden funktionale und optische Anforderungen gestellt. Abdichtungen, Wärmedämmung oder das Tragverhalten einer Wand sind funktionale Aspekte. An Putzoberflächen, Parkettböden oder gestrichene Wände werden eher optische Anforderungen gestellt. Für technische Funktionen gelten eindeutige, i.d.R. messbare Vergleichsgrößen, die optische Bewertung ist dagegen oft subjektiv geprägt: was ist „schön“? Auch ist zu beachten, dass es sich beim Bau um Handwerksleistungen handelt, die nicht völlig gleichmäßig ausgeführt werden können. Entscheidend für einen nicht möglichen Vergleich mit industrieller Fertigung sind einerseits die Witterung, die sowohl Einfluss auf die manuelle Ausführungsqualität hat, als auch das Austrocknungsverhalten der Baustoffe bestimmt. Damit kann nie eine Farbgleichheit erreicht werden. Andererseits ist das Verhältnis Werkzeug zu Werkstück auf dem Bau ungünstig: kleine Kelle und große Fassadenfläche, statt der großen Hobelbank für die industrielle Fertigung von Küchenmöbeln. Aus diesen Gründen kommt dem „richtigen“ Betrachtungsabstand zur optischen Bewertung von Bauteilen eine Schlüsselrolle zu. Gehe ich ganz nah ran, finde ich immer Unregelmäßigkeiten. Der „richtige Abstand“ ist die gewöhnliche Betrachtungsentfernung: Strukturen ganzer Fassaden kann man nur von der gegenüberliegenden Straßenseite erfassen, Details sehe ich gewöhnlich nur im Erdgeschoss aus der Nähe.
Und wie stehen Sie dazu?
Ausschlaggebend ist der gewöhnliche Betrachtungsabstand. „Immer 2 m“ ist falsch, da dies weder in der Dusche, noch im Aufzug gelten kann, allerdings betrachte ich Fliesenarbeiten am Waschbecken täglich aus der Nähe. Für Fassadenarbeiten ist bei der Abnahmebegehung der Fertigzustand zugrunde zu legen, d.h. ohne Gerüst. Häufig sind erst dann Unregelmäßigkeiten erkennbar, aber nicht mehr zu beheben. Solche Bereiche an den oberen Etagen, die von unten kaum erkennbar sind, werden nicht gerügt, wohl aber im Erdgeschoss, wo ich gewöhnlicherweise näher davorstehe. Fassaden an Balkonen sind wie im Erdgeschoss einzuschätzen – sie werden aus der Nähe betrachtet. Die Bewertung von der Straße aus war ok, handwerkliche Unregelmäßigkeiten beleben die Flächen und verschwimmen bei größer werdendem Betrachtungsabstand.
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