Großformatiges Mauerwerk und leichte Dächer – eine Problemlose Bauweise?
veröffentlicht am 27.05.2016 auf ibr-online
Problembeschreibung
Wirtschaftliches Bauen bedeutet heute geringe Aufwandswerte für die Erstellung der Bauwerke und kurze Bauzeit insgesamt. Große Formate bestimmen Fliesen, Fertigteile und auch die Mauersteinabmaße. Dies gilt für Kalksandsteine und Hochlochziegel gleichermaßen. Jenseits der Probleme, die Zöller in [1] beschrieben hat, stehen hier konstruktive Folgen einer besonderen Bauweise mit großformatigem Mauerwerk im Vordergrund.
Die Bauweise wurde soweit rationalisiert, dass die Stoßfugenvermörtelung entfallen ist und die Lagerfugen nur mit dünnem Mörtel geklebt werden. Der Auftrag mit dem Mörtelschlitten gewährleistet einen gleichmäßig dünnen Materialauftrag, das Mauerwerk ist insgesamt sehr maßhaltig. Dies wird auch in der Ausbauphase berücksichtigt – gespachtelter Dünnlagenputz statt Putzstärken, die den Passungstoleranzen nach DIN 18202 zugrunde liegen.
Im reinen Mauerwerksbau müssen die tragenden Wände auch die Horizontalaussteifung der Gebäude übernehmen. Das sind regelmäßig die Außenwände und einige Innenwände, die bis in die oberen Geschosse durchgehen. Es können nur Mauerwerkswände herangezogen werden, denen ausreichende Auflast zugewiesen werden kann, so dass keine unzulässige klaffende Fuge entsteht. Die nichttragenden Wände werden i.d.R. als „oben gehalten“ konstruiert und mit dem umlaufenden Ringbalken gehalten. Die Auflast im obersten Geschoss entfällt praktisch, da es ja keine Betondecke, sondern nur ein leichtes Holzdach gibt, allerdings werden die horizontalen Verformungen durch den Ringbalken in die Wandköpfe aller Wände geleitet.
Rissbildungen
Fehlen die Auflasten kommt es in der Folge der horizontalen Verformungen zum Aufreißen von Lagerfugen, sowohl der tragenden, als auch der nichttragenden Wände, s. Bild 1. Dies erfolgt insbesondere im obersten Geschoss, aber auch bei aufgelösten Grundrissen in den unteren Etagen in Wandabschnitten ohne Auflasten.
Die horizontalen Abrisse der Dünnbett-Klebefugen trennen den gesamten Wandquerschnitt und laufen häufig in die Ecken der Tür- oder Fensteröffnungen – je nach Höhe der Ausgangsrisse. Teilweise kommt es zu Rissuferverschiebungen bei Verformungen quer zur Wand.
Die Rissbreiten sind sehr unterschiedlich und erreichen bis zu 1 mm. Je nach Lage und Beanspruchung fransen die Rissufer aus, d.h. der Innenputz bröckelt ab.
Die Art des Mauerwerks spielt hier grundsätzlich keine Rolle, bei den zugrunde liegenden Projekten handelt es sich überwiegend um Ziegel- Mauerwerk, Schwindprozesse liegen also nicht vor.
Interessanterweise treten solche Risse auch bereits zum Ende der Bauphase auf.
Problem kurze Bauzeit
Schadensauslösend sind also nicht nur starke Windbelastungen, die irgendwann einmal auftreten, sondern auch andere Effekte, z.B. aus der Bauphase.
Wie läuft das Bauen bei der Minimierung der Bauzeit ab? Freitags wird die letzte massive Decke betoniert, am Montag kommen die Mauersteine für das letzte Geschoss. Da die Decke ja ausgesteift ist, können die Steine direkt zum Verarbeiten im nächsten Geschoss abgesetzt werden. Schnell wird gemauert, d.h. geklebt, Innen- und Außenwände stehen auf einer noch nicht ausgehärteten Decke, die auf den Steifen ruht. Werden nach 3-4 Wochen die Deckenunterstützungen heraus genommen, kommt es zum Schaden: Infolge der Deckendurchbiegung reißen die Innenwände, Bild 2.
Bei 6m Spannweite beträgt die elastische Verformung ca. 3 cm. Die steifen großformatigen Mauerwerkswände, die durch die geringen Fugenanteile kaum Elastizität aufweisen, entziehen sich den Verformungen, bilden Druckbögen und reißen in den Lagerfugen auf. Dies erfolgt nur bei Innenwänden, die Außenwände stehen ja auf einander und sind von den Deckendurchbiegungen nicht beeinflusst. Alle weiteren Verformungen, durch Horizontalbelastungen und weiteres Durchbiegen der Decke durch Kriechen (etwa das Doppelte der elastischen Durchbiegung) verläuft in den gerissenen Lager- und ohnehin offenen Stoßfugen. Der Mauerwerksverband, auch der aussteifenden Wände hat sich i.W. aufgelöst. Statt Lastübertragung erfolgt die Aufnahme der Verformungen in den nun gebildeten diskreten Rissen. Weitere Horizontalbeanspruchungen können zur Überlastung der Außenwände führen, die nun ebenfalls in einzelnen Lagerfugen aufreißen.
Sanierung
Ist das Phänomen bekannt, sind häufig die ersten Risse bereits in der Bauphase erkennbar, besser noch im Putz (Bild 2), der bei dieser Bauart ungücklicherweise häufig als Dünnlagenputz ausgeführt wird. Sonst treten die Risse bald nach Bezug auf und sind je nach Oberflächenbelag der Wände kaum sichtbar oder auffällig.
Die Sanierung ist schwierig. Die Risse müssen kraftschlüssig geschlossen werden, so dass die gesamte Wand als Scheibe wirken kann. Je nach erster Rissursache (Durchbiegung beim Ausschalen oder Horizontallasten) kann die eigentliche Ursache ggf. nicht abgestellt werden. Eine Rissverpressung bei Hochlochziegeln ist nicht möglich, es verbleibt die Vernadelung (Bild 3).
Oftmals tritt nach dem Schließen des (ersten) Risses der nächste in der benachbarten Lagerfuge auf (Bild 4).
Dann bleibt nur ein Kaschieren der Risse durch ein dickes Vlies (im Fall Bild 2 erfolgreich angewendet) oder einen davor gesetzten Trockenputz – mit allen Konsequenzen einer (ggf. beidseitigen) Wandaufdopplung (wurde nach mehrfacher Vernadelung im Fall Bild 3 erforderlich).
Vorbeugung
Großformatige obere Wandabschnitte ohne wesentliche Auflasten sollten am Kopf nicht gehalten (freier Rand) konstruiert werden. Es dürfen dort keine horizontalen Verformungen eingetragen werden. Das Einbinden in den Ringbalken verbietet sich, dieser ist nur auf die tragenden Wände zu beschränken. Etwaige Sonderkonstruktionen müssen berücksichtigen, dass die Verformungen nicht zu den dargelegten Schäden führen können.
Bei schnellen geschossweisen Betonierabfolgen dürfen gemauerte Innenwände des letzten Geschosses erst nach dem Entfernen der Deckenstützen errichtet werden. Das ist ggf. konstruktiv frühzeitig zu beachten und der Bauablauf ist anzupassen, um keinen Stillstand zu erzeugen. DIN 4103-1 [2] weist darauf hin, dass „der Einfluss, den Formänderungen angrenzender Bauteile auf die Trennwände haben können … durch entsprechende konstruktive Ausbildung zu berücksichtigen“ ist.
Bei dieser Bauart empfiehlt es sich, den Wandputz nicht ohne ein dickes Vlies auszuführen. Dann treten die Risse ggf. nicht hervor, sind also versteckt. Eine Mängelvermeidung ist dies dennoch nicht, man denke nur an eine spätere gründliche Renovierung, bei der die Putzoberfläche freigelegt wird.
Beurteilung
Können die Risse nicht dauerhaft kraftschlüssig verschlossen werden, liegt ein Mauerwerk ohne statisch wirksamen Verband vor. Diese Ausführungsart würde bei der Rohbauabnahme bemängelt werden. Nun stellt sie sich nachträglich ein und ist nicht zu retten. Auch ein „Verstecken“ der Risse unter einem dicken Vlies oder einer vorgesetzten Putzschicht heilt diesen konstruktiven Mangel nicht. Die Standsicherheit ist i.d.R. nicht gefährdet, das geplante Aussteifungskonzept des Gebäudes ist jedenfalls nicht voll wirksam.
Quellen:
[1] Zöller, M.: Mauerwerk aus großformatigen Steinen: Eine unerprobte Bauweise mit hohen Risiken? IBR 2013, 391
[2] DIN 4103-1: Nichtragende Innenwände- Anforderungen und Nachweise. Ausgabe 06/ 2015
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