Unvermeidbar oder Gedankenlosigkeit?
Erstveröffentlichung in der Zeitschrift IBR im Februar 2019
Grundlagen
Der Geschossbau wird durch die steigenden Anforderungen an Kosten und Termine fast nur noch in Skelettbauweise errichtet. Auch der Wohnungsbau, der grundrissmäßig nicht standardisiert ist, wie z.B. Hotels oder Bürogebäude, wird derart konstruiert: Betonstützen und ausgedünnte massive Wände, die für die Stabilität gerade noch erforderlich sind, dazwischen Trockenbauwände für alle Anforderungsarten.
Fugenausbildung
Die Trockenbauanschlüsse an die massiven Bauteile (Beton- oder Mauerwerkswände) werden als Anschluss/ Bewegungsfugen ausgebildet, da unterschiedliche hygrische Eigenschaften oder Verformungen eine Entkopplung verlangen. Dies fordert DIN 18181 [1]: „Gipsplatten sind von Bauteile aus anderen Baustoffen zu trennen“. Das Merkblatt 3 des Bundesverbands der Gipsindustrie [2] führt aus : Im Regelfall gilt, dass zwischen Anschlussprofilen und angrenzendem Bauteil Anschlussdichtungen einzubauen sind; diese bestehen üblicherweise aus Dichtungsbändern (z.B. Schaumstoffe, Filze, Mineralwolle) oder Dichtstoffen (z.B. Acrylate), die streifenförmig oder vollflächig auf das Anschlussprofil aufgebracht werden.
Dass diese Fugen zu planen sind, versteht sich von selbst, das Merkblatt weist nochmals darauf hin. Details der Wandverlängerungen massiv – Trockenbau fehlen, Hersteller von Abschlussprofilen widmen sich diesem Ausführungsdetail nicht.
Die Ausbildung dieser Fugen führt in der Folge zu sich optisch deutlich abhebenden Unterbrechungen der Innenwände, Fugen, die sich nicht aus der Raumgestaltung ergeben, sondern eine zufällige Folge der Statik sind. Sie bestimmt durch die Vorgabe der Konstruktionsart das Aussehen des Ausbaus – hier die optisch auffällige Fugenanordnung in den Räumen.
Hier stellt sich dann die Frage, ob der Endkunde – im Wohnungsbau häufig ein Erwerber, der als Verbraucher einzustufen ist – aufgeklärt wurde, dass sich an manchen Wänden eine Fuge befindet, die diese oftmals einzige frei stehende Wand unschön in unsymmetrische Felder teilt. Aus den Grundrissen der Kaufurkunde geht dies i.d.R. nicht hervor, so führt dies bei der Übergabe der Wohnung zu unschönen Überraschungen, die nicht mehr heilbar sind. Bleibt eine finanzielle Minderung – und die dauerhaft unschöne Wandteilung, die auch mit den Jahren der Alterung des Fugenmaterials nicht verblasst …
Fugen vermeiden!
Etwa auftretende unterschiedliche Verformungen müssen dauerhaft am Übergang der beiden unterschiedlichen Wandbauarten aufgenommen werden. Da hier jedoch nicht Grundrissgestaltungen oder auf einander zulaufende Ecken diese Fugen bestimmen, sondern sich willkürlich aus statisch erforderlichen „Wandstummeln“ ergeben, kann dies den Bewohnern nicht ohne frühe deutliche Hinweise darauf zugemutet werden.
Weiterhin ist zu fragen, ob diese Fugen nicht vermeidbar sind. Beispiele sind Bodenbeläge, bei denen mit großformatigen Elementen Estrichfugen überspannt werden – letztlich auch nur (oder immerhin) aus optischen Ansprüchen.
Vorgefertigte Lösungen gibt es hier nicht, die Trockenbaufirmen sträuben sich regelmäßig und zeigen schon frühzeitig auf die bekannten elastisch zu versiegelnden Fugenabschlussprofile: das ist die technisch richtige Lösung!
Fugen können aber vermieden werden, wenn die oberste Baustofflage die Fugenbewegungen elastisch aufnehmen kann und als „Schleppplatte“ wirkt. Aus einer Fugenbewegung von z.B. 0,5 mm folgt bei einer freien Dehnlänge (z.B. Breite Fugenprofil 3 mm) : ɛ = 17%, dies entspricht knapp der Dehnfähigkeit für elastische Verfugungen.
Aus möglichen hygrischen und thermischen Klimaunterschieden (Innenräume!) zwischen Gipskartonplatte und angrenzender massiver Wand (träges Materialverhalten) wird eine max. Fugenverformung von ca. 0,5 mm[1] bei 1 m freier Länge zugrunde gelegt.
Die Grenz-Zugdehnung der GK- Platten liegt bei ca. 0,45%o[2], was bei einer Fugenverformung von 0,5 mm ebenso zu einer erforderlichen freien Länge von ca. 1 m führt.
Wird also eine Gipskartonplatte mit ca. 1m freier Dehnlänge über die Fuge im Untergrund gespannt, können die etwa auftretenden Verformungen elastisch, also schadenfrei aufgenommen werden: Die Ausbildung einer diskreten Fuge kann entfallen. Die Berücksichtigung der Elastizität der Verklebung Gipsbatzen, der Verschraubungen oder etwa verwendeter Hutprofile (Bild 2) führt zu einer weiteren möglichen Verringerung der Abstände der Befestigungen der überspannenden obersten Lage bzw. zu einer vergrößerten Elastizität der obersten Lage der Fugenüberdeckung.
Sonderkonstruktionen wagen!
Nicht immer sind „genormte oder in Regelwerken beschriebene“ Ausführungen die einzige geltende Wahrheit. Viele Anforderungen können heute nicht alleine durch „geregelte“ Konstruktions- oder Bauarten umgesetzt werden. Hierfür müssen nicht gleich Konzertsäle herhalten, niveaugleiche Austrittsschwellen sind allgemein bekannte Beispiele [3].
Das geforderte BauSOLL wird durch eine dauerhaft mangelfreie und zuverlässige Konstruktionsart bestimmt. Das BGB kennt daher auch nicht den Verweis auf die allgemein anerkannte Regeln der Technik – dies könnte ja eine Einschränkung darstellen!
Ebenso verhält es sich im vorliegenden Fall mit dem Rückgriff auf die Normen: DIN 18181 „fordert“ eine Fuge, das Merkblatt sieht dies „als Regelfall“ an – der semantische Unterschied zwischen „müssen“ und „sollen“. Wird der Nachweis des Funktionierens einer anderen aber dennoch zuverlässigen Konstruktionsart erbracht, steht dieser als „Sonderkonstruktion“ ggf. Skepsis entgegen, es sollte jedenfalls auch die Neugierde geweckt werden!
Die oben vorgestellte Art der Fugenvermeidung hat sich bei zahlreichen Bauvorhaben seit längerer Zeit bewährt – und sollte unbedingt weiter angewendet werden.
Die Alternative, in Kaufverträgen darauf hinzuweisen: „mögliche Fugen sind hinzunehmen“, entspricht nicht dem Umgang in Augenhöhe zwischen den Planern teurer Projekte und den Erwartungen der anspruchsvollen Erwerber.
Manfred Puche, Berlin
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Literatur:
- DIN 18181: Gipsplatten im Hochbau, Ausgabe 10/ 2008
- Bundesverband Gipsindustrie: Merkblatt 3 – Gipsplattenkonstruktionen Fugen und Anschlüsse Download
- Zöller, M.: „Sonderkonstruktion“ nicht gleich Sonderkonstruktion: Beispiel Gefälle und niveaugleiche Schwellen. IBR Werkstatt Beitrag v. 4.12.18 ….
[1] Δ rel. Feuchte: 30%; Δ Temperatur: 20ºC
[2] ca.-Werte: fzul = 1 N/mm²; E = 2.200 N/mm²
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