Dünne Kalkschlämme als Oberputz – Rohbau wie Sichtmauerwerk!
veröffentlicht im März 2013 bei ibr-online
Objektbeschreibung
Eine Reihenhausanlage mit hohem ökologischem Standard war in Lehmbauweise geplant. Raumseitig war zur Gewährleistung eines ausgleichenden Raumklimas lediglich das Aufbringen einer Kalkschlämme geplant. Da tragende Wandbereiche und die Wohnungstrennwände statisch nicht aus Lehmziegeln errichtet werden konnten, wurden hierfür in gleichen Formen 3-DF Hochlochziegel handgefertigt.
Die nur ca. 3 mm dicke Kalkschlämme wird mit der Quaste aufgetragen und bildet unmittelbar den Untergrund –die Oberflächenstruktur des Ziegelmauerwerks ab (Bild 1). Weitere innenseitige Bekleidungen oder Beschichtungen entfallen.
Ausschreibung
Die Leistungen wurden detailliert zur Einzelvergabe ausgeschrieben. Im Leistungsverzeichnis „Rohbau“ wird unter „Besondere Baubeschreibung“ auf die nicht gebrannten Lehmziegel hingewiesen. Weiter heißt es: „Sämtliches Mauerwerk erhält raumseitig eine Kalkschlämme als fertige Oberfläche.“
Korrespondierend hierzu ist in den Positionstexten der Ziegel- und Lehmsteine aufgenommen: „Wände werden bauseitig mit Kalkschlämme überzogen“.
Besondere Vereinbarungen zu Toleranzen, Fugen oder Verbänden gab es nicht: „Maurerarbeiten nach DIN 18330“.
Muster
Nach Fertigstellung der Maurerarbeiten wurde an einer Ziegelwand ein Muster in der Größe von ca. ½ m² erstellt. Hier war deutlich erkennbar, dass die Struktur der Innenraumoberfläche alleine von der sauberen Verarbeitung des Mauerwerks lebt (Bild 1).
Die gleichmäßig aufgestrichene Kalkschlämme bildet jede Unebenheit, jedes größere Korn und jede Fehlstelle im Untergrunds deutlich ab.
Ausführung
Es wird im Folgenden nur auf die optische Bewertung eingegangen. In dieser Hinsicht erfolgte die Ausführung der Maurerarbeiten i.w. DIN-gerecht, wenngleich weit entfernt vom gewünschten optischen BauSOLL.
Die Breiten der Mauerwerksfugen differierten stark (Bild 2) ebenso gab es zahlreiche Versätze zwischen benachbarten Mauerziegeln bzw. Lehmsteinen. Die Idee, als einzige Innenverkleidung nur eine Kalkschlämme aufzuziehen, führte zur Auseinandersetzung mit dem Rohbauer.
Toleranzen
Es sind nicht nur die Toleranzen der DIN 18202 zu beachten, sondern insbesondere die Abmaße der Steine. Durch die Bezugnahme auf das Baurichtmaß (ein Vielfaches von 12,5 cm) müssen -und können- die Fugen unterschiedliche Steinmaße ausgleichen. DIN 105 erlaubt hier Abweichungen in der Länge bis 10 mm, in der Höhe bis 4 mm und in der Breite bis 7 mm. Dagegen sind die zulässigen Fluchtabweichungen der betrachteten Wandfläche nach DIN 18202 nahezu unbedeutend, zumal dort keine Sprünge und Kantenversätze geregelt werden.
Die Stoßfugen können somit zwischen 0,5–2,5 cm und die Lagerfugen von 0,7–1,7 cm variieren.
Bewertung
Die Bewertung der optisch teilweise sehr unterschiedlich breiten Fugen, der Kantenversätze und auch Ausbrüche an den Ziegeln kann nur unter dem strengen Maßstab von optischen Ansprüchen erfolgen, wenn dies vereinbart war. Aus den Ausschreibungsunterlagen ging das erwartete Ergebnis für den Rohbauer nicht klar erkennbar hervor. Dem Maurer lag ein klassisches Rohbau-LV vor, der Hinweis zur Kalkschlämme wird überlesen. Im wenig beachteten Abschnitt 0 der VOB/C wird darauf hingewiesen, dass „besondere Ausbildungen der Bauteile und Beschaffenheit der Oberfläche des Mauerwerks“ in der Ausschreibung aufzuführen ist.
Es fehlt die Ausgleichsschicht, die an den Wänden der Innenputz darstellt. Diesen Toleranzausgleich berücksichtigt DIN 8202 in Tab. 2 in den Zeilen 5 und 6 mit 5 mm, selbstverständliche unabhängig von der Messlänge. Eine einzige Innenbeschichtung, dünner als 5 mm kann somit keinen Ausgleich der Rohbauoberfläche erreichen. Bei einer gestrichenen Beschichtung, die die Kalkschlämme darstellt, ist dies schon technisch nicht möglich.[1]
Das Muster wurde erst für den Putzer und die Kalkschlämme angelegt, zu einem viel zu späten Zeitpunkt, um dem Maurer die Erwartung an seine Rohbauleistung aufzuzeigen zu können.
Schlussfolgerung
So sinnvoll detaillierte Leistungsbeschreibungen sind, als so wenig hilfreich erweisen sie sich, wenn funktionale oder optische Ansprüche gefordert werden. Hier helfen nur Komplettheitsklauseln mit Mustervereinbarungen, die bei der Einzelvergabe natürlich nicht anwendbar sind. Anhand von Musteranfertigungen muss das gewünschte Ergebnis „ausprobiert“ werden. Das Sichtbetonmerkblatt des DBV spricht daher vom „Erprobungsmuster“ und weist zudem auf erforderliche Regelungen hin, wenn das gewünschte Ergebnis nicht erreicht wird. Im vorliegenden Fall hätte dem Maurer anhand des Musters der Kalkschlämme auch jenseits der Leistungsbeschreibung klar gemacht werden können, was mit den kurzen Hinweisen im LV tatsächlich zu erreichen gewollt war. Dann wäre es zu einer wirksamen Vereinbarung nach VOB/B §13(2) „Leistung nach Probe“ gekommen und beide Vertragspartner wären mit ihren Vorstellungen bzw. handwerklichen Möglichkeiten aufeinander zugegangen und es wären viel Ärger, Streit und Kosten vermieden worden.
[1] Für Bodenbeläge wird dieser Effekt in Zeile 3 mit gleichen Toleranzen berücksichtigt